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Medientage München 2022: "More relevant than ever"

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 28.10.2022, 17:20 Uhr
Kommentar: +++ Internet und Technik +++ Bericht 6539x gelesen
Das Kongreßzentrum mit der Paramount-Etage und dem Vodafone-Areal.
Das Kongreßzentrum mit der Paramount-Etage und dem Vodafone-Areal.  Bild: G. Bachleitner

München [ENA] "Wichtiger denn je", oder neudeutsch: "More relevant than ever" wollten die Medien auf den 36ten Medientagen in München sein, die nach zwei reduzierten Ausgaben in gewohntem Umfang am gewohnten Platz im ICM stattfanden. 400 Referenten an drei Tagen waren angekündigt.

Inhaltlich verlief der Medientage-Gipfel zumeist auch auf gewohnten Bahnen, ein unterhaltsamer Moderator, heuer der eloquente Sebastian Pufpaff, das Grußwort eines souveränen Ministerpräsidenten, heuer weiterhin Dr. Markus Söder, der strategische Vortrag eines Senderchefs, heuer Wolfgang Link, der u.a. die Beteiligungsverhältnisse bei Pro7-Sat1 zu kommentieren hatte, und der Auftritt eines "special-interest"-Gastes, diesmal Dr. Wladimir Klitschko, der ein Plädoyer für die weitere mediale und materielle Unterstützung der Ukraine hielt.

Man beließ es sinnvollerweise beim Appell, doch Klitschko scheute sich nicht, den deutschen Medien in Erinnerung zu rufen, daß sich die aktuelle Entwicklung bereits seit 2014 abzeichnete, ohne daß medial entsprechende Strategien oder Konsequenzen erwogen worden seien. Eine politische Debatte war an dieser Stelle nicht angebracht, denn Klitschkos These, in der Ukraine werde (vom Westen) die Demokratie verteidigt, hätte sogleich ein anderes, noch östlicheres Land ins Spiel gebracht, in dem eine solche Verteidigung vor kurzem aus Kurzsichtigkeit glorreich-krachend gescheitert ist.

Mediale Politik wurde zweckmäßigerweise an einem anderen Fall verhandelt, dem Buch von R.D. Precht und H. Welzer über "Die vierte Gewalt". Die Auflage von 100.000 spricht für Brisanz und Aktualität des Themas. Das Interview, das ein Stern-Journalist mit ihm führte, machte die fortdauernde Hartleibigkeit der Branche gegenüber Kritik fühlbar. Precht hatte ihr, gerade am Beispiel der Corona-Berichterstattung, aber auch danach bei der Kommentierung des Krieges im Osten, Diskursverengung, Einseitigkeit und meinungsmonopolistische Tendenzen vorgeworfen oder nachgewiesen.

So werde mittelfristig das dringend nötige Vertrauen in die Medien untergraben. Kritik werde rasch mit Psychologisierung und Personalisierung abgebügelt, wie es ihm selbst ja auch widerfahren war. Daß das Rudel von einem Rudeljournalismus nichts wissen wollte, wurde live vorgeführt. * * * * *

Die neue Bewegtbild-Architektur

Der TV-Gipfel machte sich auf die "Suche nach der neuen Bewegtbild-Architektur". Weniger preziös kann man es tatsächlich kaum ausdrücken, weil die überlieferten, an Hardware und Netztopologien gebundenen Medien in einem wesentlich veränderten, durch ausländische Plattformen dominierten Umfeld agieren müssen. Lediglich der Bildschirm, vor den sich der Zuschauer setzt, ist gleich geblieben - oder nicht einmal das, wenn man das Fensterchen im Smartphone als neue Abspielstation einbezieht.

Was früher (nur technisch definierte) Übertragung war, heißt jetzt Streaming. Das ist zeitlich zwar delinearisiert, inhaltlich-organisatorisch aber neu fixiert, an Abonnements bei den einschlägigen Plattformen gebunden. Diese stehen nun vor der Positionierung "zwischen Wachstum und Wirtschaftlichkeit", wie der Titel des Gipfels lautete. * *

So ließ man denn die einschlägigen Anbieter paradieren, Google/Alphabet für Youtube, Paramount, wo man sich anschickt, im Dezember einen entsprechenden Kanal (auch in Kooperation mit Sky) zu lancieren, Netflix, wo man gerade wirtschaftliche Rückschläge zu verdauen hat, den hiesigen Platzhirsch Sky, der sich stärker zur Aggregation hin entwickeln muß, und RTL+, wo man die Kontroverse linear-nonlinear im eigenen Hause zu bewältigen hat. Nochmals eine ganz andere Perspektive darauf lieferte ein Hardware-Hersteller, in diesem Falle Samsung in der Person von Christian Russ, der interessante Zahlen aus der Zuschauermessung der Samsung-Gerätepopulation vorlegen konnte.

Hiernach wird der Linearzuschauer ebenso zum Randphänomen, wie es der reine Nonlinearzuschauer noch ist. Eine Hybrid- oder Mischnutzung bildet die Mehrheit. Die Verteilung der Nutzung ist jedoch höchst ungleichmäßig. Auch die Nutzungsform Spiele - an Konsole oder Online - wirkt sich auf den übrigen Bewegtbildkonsum aus. Daß mit steigenden Abo-Kosten das Interesse der Haushalte an kostenlosen, d.h. werbefinanzierten Streaming-Angeboten (FAST) wächst, konnte nicht überraschen.

Daß sich Samsung die Wahrung des Datenschutzes auf die Fahnen geschrieben hat, hätte man so nicht erwartet, wenn man die Fülle der hier präsentierten Nutzungszahlen vor Augen hat, aber dies ist natürlich auch der Zweck von "Smart-TV", und die Datenerfassung ist vom Gerätenutzer vorher abzunicken. Er hat dann auch keine Handhabe gegen die Architektur des Eröffnungsbildschirms, die für einen traditionellen Linearzuschauer grausig fremdbestimmt aussieht.

Konsumverzicht? - Nein, danke.

Wie sich alteingesessene Fremdbestimmer in der aktuellen Lage positionieren, war in der Diskussion der Werbebranche über "Krise und Konsum" zu erleben. Gemeint war natürlich "Krise des Konsums", doch so weit ging die Ehrlichkeit dann doch nicht. Man gestand zu, daß Konsumeinschränkungen kurz- und mittelfristig unvermeidlich seien, hielt einen - womöglich noch moralisch hinterlegten - Konsumverzicht jedoch für verderblich. Marken müßten nicht zuletzt Optimismus verbreiten. In diesem Zusammenhang sei auch von sog. Haltungskampagnen abzuraten, d.h. moralisch aufgeladenen, zeitgeisthörigen Selbstdarstellungen der Marken.

Und ebenso abwegig sei es, wenn sich etwa Edeka aufgrund der verschlechterten Einkommenssituation vieler Bürger nun als Discounter zu gerieren versuche. Man werde es wahrscheinlich dauerhaft mit einem gespaltenen Konsum zu tun haben. Im unteren Segment ist striktes Sparen und Konsumeinschränkung notgedrungen Pflicht, gewohnte Konsumleichtigkeit werde nur noch dem oberen Segment möglich sein.

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